Hermann Schulze-Delitzsch 1808-1883
Hermann Schulze-Delitzsch war einer der Pioniere der parlamentarischen Demokratie in Deutschland. Als demokratischer Politiker der ersten Stunde widmete er sein Leben der Lösung der sozialen Frage sowie der politischen und wirtschaftlichen Freiheit des deutschen Volkes. Als Mitbegründer und Baumeister des freien Genossenschaftswesens ging er in die Geschichte ein.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts setzte ein wirtschaftlicher und politischer Umbruch ein, der innerhalb weniger Jahrzehnte das gesellschaftliche Umfeld in bis dahin nicht gekanntem Ausmaß veränderte. Schulze-Delitzsch wurde in eine Zeit hineingeboren, in der das aufkommende liberale Gedankengut mit technischen Pionierleistungen zusammentraf. In Preußen wurden mit der Gewerbefreiheit und der Bauernbefreiung im Zuge der Stein-Hardenbergschen Reformen erstmals liberale Gedanken in praktische Politik umgesetzt. An die Stelle von Zünften und staatlicher Reglementierung trat eine freie einzelwirtschaftliche Verfassung, die die freie Konkurrenz ermöglichte.
Gleichzeitig führten Erfindungen wie die der Dampfmaschine und der Bau neuer Verkehrswege – etwa für Eisenbahnen – zu völlig anderen Produktionstechniken. Das Zeitalter der Massenproduktion hatte begonnen.
Den kleinen selbständigen Betrieben in Handwerk und Gewerbe fehlte oft das notwendige Kapital für die Anschaffung der neuen Technik. Die industrielle Revolution veränderte Arbeitswelt und Lebensrhythmus, sie machte den Mittelstand arm und die Armen oftmals zu dem, was man dann »die Proletarier« nannte. Das zu verhindern und vor allem den Mittelstand in die Lage zu versetzen, den strukturellen Wandel zu meistern und die wirtschaftliche Selbständigkeit zu erhalten, das war Schulze-Delitzschs Lebenswerk.
Hermann Schulze, geboren am 29. August 1808 in Delitzsch/Sachsen übernahm nach seinem Jurastudium in Leipzig und Halle 1841 zunächst – wie sein Vater – das Amt des Patrimonialrichters in Delitzsch. Während dieser Zeit wurde er unmittelbar mit den dringenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen des Mittelstandes konfrontiert. 1848 wurde Schulze, der schon erste Initiativen zur Verbesserung der Lage des arbeitenden Mittelstandes durch Wohltätigkeitseinrichtungen ergriffen hatte, zum Abgeordneten des Wahlkreises Delitzsch in die erste Preußische Nationalversammlung in Berlin und für die Deutsche Nationalversammlung in Frankfurt gewählt. Schulze – nach seinem Wahlkreis fortan Schulze-Delitzsch genannt – nahm das Berliner Amt an und leitete dort die „Kommission für Handwerksangelegenheiten“.
Er widmete seine ganze Tatkraft als Politiker, aber vielmehr noch als praktischer Sozialreformer, der Lösung der sozialen Probleme der von der industriellen Revolution am härtesten betroffenen Schichten der Handwerker und Arbeiter.
Ab 1849 gründete er Genossenschaften nach dem Prinzip der Selbsthilfe. Durch die Kooperation kleiner selbständiger Betriebe in subsidiären Genossenschaften konnten diese im Einkauf, beim Absatz und bei der Kreditbeschaffung mit den großen Unternehmen konkurrieren.
Die Grundlagen dieser Genossenschaften waren die Prinzipien der Selbsthilfe, Selbstverantwortung und Selbstverwaltung. Schulze-Delitzsch lehnte jede Staatshilfe und staatliche Bevormundung ab und machte die Genossenschaften zu konkurrenzfähigen freien Wirtschaftsunternehmen, welche die wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder förderten.
In harten politischen Auseinandersetzungen setzte der liberale Demokrat seine Vorstellungen über das Genossenschaftswesen durch. 1867 wurde in Preußen das von Schulze-Delitzsch geprägte Genossenschaftsgesetz erlassen, welches 1868 Gesetz des Norddeutschen Bundes und 1889 schließlich Reichsgesetz wurde.
Die Zahl der selbständigen Genossenschaften wuchs rapide und 1859 begann Schulze-Delitzsch mit dem Aufbau eines Genossenschaftsverbandes, dem er bis an sein Lebensende im Jahre 1883 vorstand.
Hermann Schulze-Delitzsch starb am 29. April 1883 in Potsdam.