Emmanuel Mbobela liest aus seinem Buch „Mein Weg vom Kongo nach Europa“
Reiche Vorkommen, damals Kautschuk, heute Erdöl, Kupfer, wertvolle Diamanten und Gold bis hin zu Koltan sind auf den Weltmärkten mehr als gefragt. Dazu ein die vielfältige und artenreiche Flora und Fauna begünstigendes Äquatorialklima mit Regenwäldern, Savannen und fruchtbaren Äckern. Tolle Landschaften. Genug, um 80 Mio. Einwohner zu versorgen, ihnen ein zufriedenes und befriedetes Leben zu ermöglichen: Das muss wohl das Schlaraffenland sein, die Demokratische Republik Kongo.
Mitnichten: Der Kongo gehört heute zu den allerärmsten Ländern der Erde, die Arbeitslosigkeit erreicht rd. 85-90%, die Lebenserwartung liegt nur bei ca. 50 Jahren, die Wirtschaftsleistung kommt lediglich 1% der Bevölkerung zugute, Gesundheitssystem und Sozialsystem sind marode bis nicht existent. Korruption, Gewalt und Unterdrückung regieren.
Das ist das Ergebnis der letzen 150 Jahre kongolesischer Geschichte. Vom Regen in die Traufe, in die Traufe, in die Traufe:
Ausbeutung und Ausplünderung durch portugiesische und islamische Sklavenhändler im 19. Jh.; ab 1885 Plünderung der Kautschukvorkommen durch Belgien – begleitet von massiven Gräueltaten; Ermordung des demokratisch gewählten Präsidenten Lumumba; 1965 Putsch durch Mobutu und Errichtung eines diktatorischen Systems aus Korruption und Ausplünderung, unterstützt von Belgien und USA; Umsturz des Mobutu-Regimes; 1997 erneuter Krieg zur Eroberung des Kongo bis 2003. Demokratische Wahl von Joseph Kabila in 2006. Dritter kongolesischer Krieg 2007 bis 2013 initiiert durch mehrere Milizen und Rebellengruppen.
2 ½ Mio. Menschen sind deshalb auf der Flucht vor Zerstörung, Unterdrückung, Folter und Tod. Sie treffen bei der Flucht auf Ablehnung, Ausbeutung, Gewalt. Einer von ihnen: Emmanuel Mbobela.
Die Waffen sind immer dieselben: Mord, Folter, Vergewaltigung, Entzug von Bildung. Die Triebfedern sind: Gewissenlosigkeit, Selbstbereicherung, Menschenverachtung.
Es ist mucksmäuschenstill, als Emmanuel Mbobela, übersetzt von Dieter Alexander Behr, von den dramatischen Verhältnissen in seinem Land berichtet, das er 2002 wegen politischem Engagement in einer Studentenorganisation und anschließender Inhaftierung und Folter verlassen musste.
Welche Dimensionen hat Flucht? Sein Land, Familie und Freunde verlassen, aus Angst um das eigene Leben? Eine lebensgefährliche Flucht zu riskieren, nur um am Ende – sofern man überlebt – nicht selten vor verschlossenen Türen zu stehen und abgeschoben zu werden? Mbolela ist einer von unzähligen Flüchtlingen, die sich gezwungen sahen, einen solchen Weg anzutreten.
Mit seinem Buch „Mein Weg vom Kongo nach Europa“, will er für die Situation von Flüchtenden nach Europa sensibilisieren und Menschen mobilisieren.
Genau das ist Mbolela am 7. und 8. Juni vor 150 Schülerinnen und Schülern der Schulze-Delitzsch-Schule gelungen und traf damit den Kern der Veranstaltung, wie sie Schulleiter Rainer Strack in seiner Ansprache zuvor skizzierte:
„Wir hören in den Nachrichten immer wieder vom Schicksal der Flüchtlinge und sehen die schrecklichen Bilder der Gestrandeten. Es besteht aber gerade durch die Häufung die Gefahr, das Gefühl für den Schrecken zu verlieren. Die Geschehnisse bleiben anonym, (…). Es braucht die Kenntnis von dem Schicksal Einzelner, um persönlich betroffen zu sein, um leichter Verständnis zu entwickeln und Hilfsbereitschaft zu leben. Dies zu entwickeln, dafür zu werben, hat sich Emmanuel Mbolela zur Aufgabe gemacht, dafür hat er sein Buch geschrieben und dafür ist er hier, um mit uns zu reden. Er ist damit der Botschafter und Anwalt für alle Flüchtlinge!“
Und Susanne Claßen, die diese Lesungen im Rahmen der SOR-SMC Projektarbeit organisiert und geleitet hat, appellierte an die Anwesenden: „Ich hoffe und wünsche, dass die Worte von Herrn Mbolela auf fruchtbaren Boden fallen.“, was Jakob Kirfel vom StadtschülerInnenrat in seiner Ansprache bestätigte: „Wir Schülerinnen und Schüler müssen uns einschalten für eine Willkommenskultur, uns gegen die rassistischen Positionen der AfD stellen und Fokus auf Einzelschicksale richten!“
Abschottung, Ablehnung und Rassismus waren auch die steten Begleiter auf Mbolelas Flucht:
Besonders die rassistischen und diskriminierenden Verhältnisse gegenüber AfrikanerInnen in Nordafrikanischen Ländern „haben mich aufgewühlt, dass ich 2005 ARCOM (Association des Réfugiés et Demandeurs d’Asile Congolais – Vereinigung der kongolesischen Flüchtlinge und AsylbewerberInnen) gegründet habe, um afrikanische Flüchtlinge gegen Gewalt und unrechtmäßige Verschiebungen zwischen Algerien und Marokko zu unterstützen.“
Inzwischen ist er mit der ARCOM im Netzwerk afrique-europe-interact aktiv, das transnational organisiert ist und Anfang 2010 gegründet wurde.
Ein von ihm mit gegründetes Frauenhaus in Rabat wurde dank der Spenden, die bei den zahlreichen Lesereisen eingesammelt werden konnten, finanziert. Ein von Mbolela unterstütztes Projekt „Landgrabbing bei Kleinbauern in Mali“ kämpft seit fünf Jahren für die Rückgabe des Landes an die Bauern.
Die Stationen und Erlebnisse bei seiner Flucht haben immer den Drang verstärkt, Freiheit, Gerechtigkeit und Selbstbestimmung zu befördern. Seine Flucht war deshalb auch immer von politischen Aktivitäten begleitet.
In der anschließenden Diskussionsrunde präzisierte Mbolela auf die Frage von Jakob Kirfel (StadtschülerInnenrat) nach der Wirksamkeit von Grenzschließungen sehr konkret: „So lösen sie das Problem nicht. Sie müssen die Gründe hinterfragen, warum die Menschen flüchten. Geeignete Maßnahmen wären die Waffenkonzentration im Kongo zu reduzieren, die Unterstützung von afrikanischen Diktatoren durch europäische Länder einzustellen, die Gewinne aus den Bodenschätzen signifikant im Land zu belassen, die Flüchtlinge einfach nach den Menschenrechtskonventionen, die in Europa gelten, behandeln.“
Beindruckend, weil von ungebrochener Motivation und Vision geprägt, fiel die Antwort auf die Frage von Mino Firgens (10VSc) nach einem schönen Erlebnis auf „Ihrer belasteten Reise“ aus: „Freudenmomente entstanden, wenn zwischen uns Flüchtlingen Solidarität aufkam. Wenn wir als Immigranten unterschiedlicher afrikanischer Länder miteinander diskutiert haben, wie wir die ökonomische Situation in unserem Land verändern wollen. Denn ich bin nicht der Einzige mit diesem Schicksal.“
So war dann auch die Resonanz der SuS zu der Lesung und Diskussion durchweg sehr positiv und anerkennend: So beeindruckte Jan Wiegert (10VSc), dass es „erstaunlich (war), dass er die Kraft für eine solche Flucht hatte und diese vier Jahre durchgestanden hat.“, während Victor Koller (10VSb) lobte: „Spannend, offen, authentisch.“ Dies bestätigte auch Tom Peinsipp (10VSc) mit den Worten „klasse Veranstaltung. Durch Herrn Mbolelas lange Flucht habe ich eine andere Sicht auf die Dinge bekommen. Es war mal was ganz anderes als dass, was ich durch die Medien wahrnehme.“
Abschließend zeigte Maximiliane Bandmaier vom Flüchtlingsrat Wiesbaden Möglichkeiten auf, was wir, die SuS, tun können, um zu helfen Wo wir Initiativen ergreifen können, damit sich die Lebenssituation von Flüchtlingen verbessert und eine andere Willkommenskultur entsteht.
Susanne Claßen verwies auf „viele Spielwiesen, wo man sich engagieren kann und soll, damit auch nur der kleinste Tropfen für ein lebensnotwendiges Wasser zum Überleben der Flüchtlinge hilft.“
Der Dank für die finanzielle Unterstützung der Veranstaltung gilt der Koordinationsstelle Berlin von Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage, dem Flüchtlingsrat Wiesbaden und der Initiative Demokratie leben, ebenso wie dem Team von media&books für den Aufbau und die Technik.
Emmanuel Mbolela fand die passenden Schlussworte für einen authentischen, spannenden und nachdenklich stimmenden Nachmittag:
„Menschen sind gemacht, um in Frieden zusammenzuleben und ich bin froh, dass die Lehrerinnen und Lehrer und Schülerinnen und Schüler sich für das Ziel einsetzen. Ich danke Herrn Strack, den Lehrerinnen und Lehrern, dem StadtschülerInnenrat Wiesbaden, dem Flüchtlingsrat Wiesbaden und Euch Schülerinnen und Schülern, dass ihr mir zugehört habt. (…). Ich bin überzeugt, dass die junge Generation eine wichtige Rolle einnimmt, um die Öffentlichkeit zu sensibilisieren, was die Zusammenarbeit für eine andere Asylpolitik betrifft. Eine Politik, die Menschen zusammenbringt und nicht auseinanderdividiert.“
Lasst uns also alle beim Austrocknen der Traufen helfen, die insbesondere heißen „Rassismus“, „Ausbeutung“, „Gewalt“, Diskriminierung“ und „Menschenverachtung“.
(Petra Hilbert)
Weiterführende Links:
http://www.fluechtlingsrat-wiesbaden.de/