Soforttrost aus dem Notfallkoffer? – Interaktion zwischen Schule und Kirche
Bistum Limburg überreicht SDS einen seelsorgerischen Trauerkoffer
Viele von uns kennen es ja aus dem Fernsehen, einige vielleicht sogar aus eigener Helfererfahrung:
Der Notarzt eilt an die Unfallstelle. Sofort werden die Vitalfunktionen der schwerverletzten Person überprüft und mit Hilfe von Beatmung, Herzmassage und Medikation, den sogenannten Sofortmaßnahmen, wieder hergestellt oder stabilisiert. Routiniert, konzentriert und streng nach den ärztlichen Reanimationsleitlinien. Die erforderliche Ausrüstung befindet sich in einem Notfallkoffer nach DIN 13232, dessen Bestückung sich außerordentlich bewährt hat.
Mit dem Erhalt der Nachricht oder dem unmittelbaren Erleben eines schweren Unfalls, Attentats oder Unglücks einer uns nahe stehenden Person werden wir unmittelbar selbst zu Betroffenen, zu seelisch Schwerverletzten, einzeln oder als Gruppe. Die Symptome sind multipel, insbesondere sind es Schock, Trauer, Wut, Angst, Ohnmacht, Lähmung und Verzweiflung. Ähnlich der medizinischen Erstversorgung brauchen auch die Seelenverletzten in der Krise akut Hilfe und Zuwendung durch kompetente und geschulte Seelsorger, wie Thomas Knögel bei uns an der SDS, die in den Koffer greifen und streng nach Leitlinien…? Nein. So funktioniert das in der „Seelenmedizin“ nicht. Nicht so schnell und nicht sofort.
Und überhaupt: Ein Notfall-, ein Trauerkoffer für Seelsorger? Was soll das? Aber genau den hat Barbara Lecht, Referentin für Schulpastoral im Bistum Limburg, am 29.11.2018 bei Ihrem Besuch der Schulze-Delitzsch-Schule überreicht. Anlass war die Einladung von Schulleiter Rainer Strack, der mit Barbara Lecht einen Austausch über den möglichen Beitrag von Schule und Kirche führte, um das Zusammenleben und den Zusammenhalt der (Schul)gemeinde auf einem respekt- und werteorientierten Fundament zu fördern.
„Wichtig ist, Gemeinschaftsgefühle erleben zu lassen und sie in die Schule zu übertragen“, sagte Strack und hob das Angebot von Religionsunterricht in Schulen vor, in dem Ängste abgebaut werden könnten. Als positiv wertet Strack, dass fast keine Abmeldungen vom Religionsunterricht vorlägen, obwohl die hohe Belastung der Religionslehrer, mit 21 Wochenstunden 11 bis 18 Klassen zu unterrichten und dabei noch eine Beziehung zur Klasse aufzubauen, immens sei. Hierfür ist ihnen „ein hohes Maß an Respekt“ zu zollen, so Strack. Lecht sah eine wichtige Rolle von Religionsunterricht und Kirche darin, dass „in vielen Situationen, wie zum Beispiel Probleme in Lebensplanung, Familienprobleme, Krankheit der Eltern, intensive und individuelle Begleitung angeboten (werden muss)“. Einig waren sich beide, dass Kirche offen sein müsse für die Zusammenarbeit mit anderen und die Vernetzung. So könne zum Beispiel Schulsozialarbeit auch mal den Schulseelsorger hinzuzuziehen und umgekehrt. Wichtig sei das proaktive Unterstützungsangebot, um die Ferne zur Kirche zu verringern.
„Selbst Pastoraltheologen predigen,“ so Thomas Knögel, dass „ wir zu den Menschen gehen (müssen). Sie nur einzuladen nützt nichts.“
Zu den Menschen gehen im Krisenfall, das hat Thomas Knögel in den vergangenen zwei Jahren bislang fünfmal getan, um ihnen zu helfen, aus der Schockstarre herauszukommen, Wut oder Ohnmacht zu überwinden Er kann einen abgeschirmten Raum anbieten, in dem, geschützt von der Schweigepflicht, vertraulich gesprochen werden kann und Wege zur Überwindung von Trauer oder Angst entwickelt werden. „Das ist ein strukturelles Plus, weil es Hemmschwellen nimmt“, beschreibt Knögel die Rahmenparameter.
Dafür enthält der Notfallkoffer nicht nur Kreuz, Kerze und Kondolenzkarten, sondern eine Vielzahl von mediativen und meditativen Materialien, teils auch mit religiöser Symbolik. Ihre Verwendung sind Angebote zur Bewältigung der Seelenverletzung und der Trauer, etwa durch Verbalisieren der eigenen Betroffenheit auf Pinnwänden, sinnbildliches Vergießen von Tränen in Form von Kieselsteinen und vieles mehr. Solche Symbolhandlungen strukturieren den aus der Balance geratenen Seelenzustand und katalysieren die Überwindung der Trauer. Die Leitlinien für die Auswahl und den Einsatz dieser Notfallmaterialien sind dabei allein die Erfahrung und Empathie des Notfallseelsorgers und die Bedürfnisse der zu betreuenden Person. Beides muss sorgfältig dosiert individuell für jeden Mitmenschen eingesetzt werden. Anders als in der Notfallmedizin sind Geduld und Zeit gefragt.
Im schulischen Umfeld bekommt Thomas Knögel für seine Aufgaben jede erdenkliche Hilfe: „Die Unterstützung, die ich von Herrn Strack bekomme, ist grandios“, lobt Knögel.
Frau Lecht vom Bistum Limburg danken wir sehr herzlich für das Engagement und die Zusammenarbeit ebenso wie der Initiative von Herrn Strack, Schule und Kirche zum Wohl der Schulgemeinde enger zu vernetzen. Vor allem wünschen wir Thomas Knögel, dass er möglichst wenige Notfalleinsätze haben wird.
(Petra Hilbert)