Kino, Kunst, Kürbissuppe und Kultur – so geht Integration!

InteA-Klassen im Projekt „Lernort Kino: Filmarbeit mit jungen Flüchtlingen“

titelbild-bild-1Ach ja: Wir schicken Flüchtlinge ins Kino, bespaßen sie mit Künstlern und lassen sie Kürbissuppe löf­feln und schon sind sie kulturell angekommen, integriert. ‚Mission accomplished‘ oder auf Deutsch: ‚Geschafft‘!

Leider ist es nicht ganz so einfach mit der Integration. Aber die Requisiten sind schon die richtigen. Das haben sich Rita Thies, Kulturmanagement, Oberstufenlehrerin, Kultur- u. Schuldezernentin a.D. und Birgit Goehlnich, Ständige Vertreterin der Obersten Landesjugendbehörden bei der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft GmbH (FSK), gedacht, als sie das Projekt „Lernort Kino: Filmarbeit mit jungen Flüchtlingen“ kreierten. Eine tolle und pädagogisch sehr anspruchsvolle Idee.

Es geht darum, jungen Flüchtlingen ergänzend zum Schulunterricht ein Angebot zu unterbreiten, das die Entwicklung der eigenen Identität, unseres Demokratieverständnisses, Respekt vor den Geschlechterrollen sowie den toleranten Umgang mit anderen Meinungen und kritischer Einstellung zu Gewalt befördert. Das methodische Kernkonzept des Projekts ist, Kino, Filmarbeit als multimediales Instrument zu nutzen, um die Adressaten auf verschiedenen Wahrnehmungsebenen, zum Teil entkoppelt von Sprachbarrieren, zu erreichen, um einen Reflexionsprozess zwischen dem bisher bekannten und dem bei uns etablierten Wertesystem anzustoßen.

Soweit die Zielstellungen. Nun mussten noch die organisatorischen und finanziellen Rahmenbedin­gungen geklärt und Protagonisten interessiert werden:

Schirmherr ist Jo Dreiseitel, Staatssekretär und Bevollmächtigter für Integration und Antidiskriminierung im Hessischen Ministerium für Soziales und Integration.

Projektträger ist der Verein „MIK – Netzwerkarbeit im Berufsschulzentrum Wiesbaden e.V.“.

Kooperationspartner sind die Friedrich-Wilhelm-Murnau- Stiftung, die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft und die Hochschule RheinMain.

Die wissenschaftliche Begleitung erfolgt durch Prof. Dr. phil. Tanja Grendel, Soziale Arbeit in Bil­dungs- und Sozialisationsprozessen, Hochschule RheinMain, Prof. Dr. phil. Heidrun Schulze, Metho­den der Sozialen Arbeit, Hochschule RheinMain und Vertr.-Prof. Dr. Marc Reisner, Medien- und Kul­turanalyse, Hochschule RheinMain

Und am 26.09.2019 war es dann endlich soweit:

Das Kick-off des Projektes fand im Deutschen Filmhaus der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung vor 60 Schülerinnen und Schülern der InteA-Klassen aus den Wiesbadener Berufsschulen statt.

Die Auftaktveranstaltung wurde von Helmut Poßmann, Geschäftsführer FSK (Freiwillige Selbstkon­trolle der Filmwirtschaft) und SPIO (Spitzenorganisation der Filmwirtschaft), eröffnet, wobei er be­sonders das Engagement der Projektinitiatorinnen Rita Thies und Birgit Goehlnich lobte.

Als Schirmherr des Projekts begrüßte Jo Dreiseitel die Anwesenden mit den Worten „Film ist das Fenster, durch das ihr Deutschland kennenlernen könnt und verstehen lernt“ und überreichte einen Scheck zur Unterstützung der Projektarbeit.

Peter Bingel, Vorsitzender des Vereins MIK – Netzwerkarbeit im Berufsschulzentrum Wiesbaden e.V. und Abteilungsleiter an der SDS, erläuterte mit Blick auf die vielfältigen Unterstützer dieses Projekt. „Bildungs-, Erziehungs- und Beratungsarbeit mit Kooperationspartnern zu unterstützen ist Netzwerk­arbeit“ und hob an die Projektinitiatorinnen gewandt hervor, dass „sie mit viel Kompetenz, Herzblut und ehrenamtlichem Engagement aus ihrer Idee ein Konzept und daraus dieses Projekt entwickelt haben, für deren Management sie verantwortlich sind“. Sodann präsentierte Bingel den pädagogi­schen Ansatz des Projekts und die Rolle von Kino:

Schülerinnen und Schülern (SuS) aus InteA-Klassen werden über ein Schuljahr lang Filme vorführt und zur anschließenden Reflexion und Diskussion gestellt mit dem Ziel, den Integrationsprozess zu fördern und soziale und kulturelle Kompetenzen auszubauen. Bingel wies auch darauf hin, dass neben den InteA-SuS eine zweite Lerngruppe installiert wurde. Es sind Studentinnen und Studenten der Hochschule RheinMain, die unter wissenschaftlicher Leitung ihrer Professoren Interviews mit den SuS vorbereiten, durchführen und auswerten.

Künstler des Zeki Zirkus aus Äthiopien begeisterten die Anwesenden zur Eröffnung mit beeindruckender Jonglier-Akrobatik, die sie mit Stäben, Kisten und Bällen darboten. Zeki bedeutet „Hohe Fähigkeiten“ oder „Stärke“ – genau das haben Fitsum und Tilahun, die beiden Zirkuskünstler, sich erarbeitet und gezeigt, was man mit Fokussierung und Ausdauer erreichen kann.

Anschließend wurde eine Serie von acht Kurzfilmen gezeigt, darunter „Ein Teller Suppe“, die dritte Zutat für die Integration. Und die geht so: Eine Frau kauft im Stehimbiss einen Teller Kürbissuppe, stellt ihn auf einen Bistrotisch und hängt ihre Handtasche an einen Haken unter dem Tisch. Sie wendet sich noch einmal dem Verkaufsstand zu, um den vergessenen Löffel zu holen. Zurück am Tisch steht ihr ein dunkelhäutiger großer Mann gegenüber, ebenfalls mit einem Löffel in der Hand. Die Frau stutzt, als er anfängt, die Suppe zu löffeln. Erst zögert sie, dann beginnt sie ebenfalls zu löffeln und beide essen gemeinsam den Teller leer. Der fremde Mann kauft nun zwei Becher Kaffee und stellt sie auf den Tisch. Nach dem ersten Schluck tauschen beide ihre Becher und trinken sie leer. Ein Lächeln, die Frau ist versöhnt, der Mann verschwindet in der Menge. Plötzlich erkennt die Frau, dass ihre Handtasche nicht mehr am Tisch hängt. Sie dreht sich vergeblich in die Richtung, in die der Fremde verschwunden ist. Als sie sich zurückwendet, sieht sie, dass auf einem Nebentisch ein Teller mit Kürbissuppe steht, unberührt, unter dem Tisch hängt ihre Handtasche.

Der Kurzfilm zeigt wunderbar, dass viele Verhaltensweisen gar nicht so unterschiedlich sind, sich viele Merkmale in den Kulturen ähneln, zumindest verstanden werden. Der Film zeigt, dass In­tegration auch damit zu tun hat, sich ein wenig mit dem jeweils Anderen, dem jeweils Fremdartigen zu beschäftigen, aufeinander zuzugehen. So, wie der große fremde Mann mit Offenheit und Freundlichkeit auftritt, verlieren viele Vorurteile und Ängste ihre Berechtigung.

Das Modellprojekt „Lernort Kino: Filmarbeit mit jungen Flüchtlingen“ ist ein brillantes Konzept, effek­tive und ansprechende Integrationsarbeit zu leisten: Im Murnau-Kino werden ein Jahr lang im 4-6 wöchigem Rhythmus Filme vorgeführt und anschließend diskutiert und reflektiert.

Wir sind gespannt, welche Ergebnisse und Fortschritte die Studentinnen und Studenten der Hoch­schule RheinMain in ihrem begleitenden Interview- und Dokumentationsprojekt nach einem Jahr präsentieren werden.

Mit den Requisiten „Kino“, „Kunst“, „Kürbissuppe“ und „Kultur“ sind jedenfalls die allerbesten Vo­raussetzungen für den Projekterfolg gegeben.

Hierzu wünschen wir allen Beteiligten jeden erdenklichen Erfolg!

(Petra Hilbert)

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