Gefilmte Integration – Chance genutzt

Abschlussveranstaltung „Lernort Kino: Filmarbeit mit jungen Flüchtlingen“

„Glaubt an Euch! Glaubt an Eure Ideen! Glaubt daran, was Euch Spaß macht! Beachtet bei allem, dass der Erfolg durch viel lesen, hören und sehen entsteht! Nutzt Eure Chance!“, rief der Schauspieler Aykut Kayacık, Darsteller des ältesten Sohns Veli, einer in Deutschland eingewanderten türkischen Familie, den Schülerinnen und Schülern (SuS) aus den InteA-Klassen der Wiesbadener Berufsschulen zu. Und genau die Chance hatten die am Filmprojekt teilnehmenden SuS genutzt, um ihren Weg zur Integration erfolgreicher und schneller zurückzulegen.

Auf den Tag zehn Monate ist es her, als das Projekt „Lernort Kino: Filmarbeit mit jungen Flüchtlingen“ gestartet wurde. Monatlich wurden gemeinsam Filme angeschaut, um mit Hilfe dieser multimedialen Plattform die individuelle Entwicklung der eigenen Identität, von Respekt und Toleranz sowie Demo­kratieverständnis innerhalb unseres Werte- und Rechtssystems, zu fördern.

Projekt. Das Projekt wurde entwickelt von Birgit Goehlnich, ständige Vertreterin der Obersten Lan­desjugendbehörden bei der Freiwilligen Selbstkontrolle (FSK) und Rita Thies, Kultur- und Schuldezer­nentin a.D. Projektträger ist der Verein MIK – Netzwerkarbeit im Berufsschulzentrum Wiesbaden e.V., dessen Vorsitzender Beter Bingel, Abteilungsleiter an der SDS, ist.

Die Abschlussveranstaltung fand am 26.06.2017 im Murnau Filmtheater Wiesbaden statt.

Begrüßung. Birgit Goehlnich, Projektleiterin, eröffnete um 15.00 Uhr die Veranstaltung und dankte allen Unterstützern und Protagonisten des Projektes, insbesondere Peter Bingel vom MIK-Netzwerk, der Hochschule RheinMain, der FSK (Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft), dem Vorstand der Murnau-Kino-Stiftung und dem Offenen Kanal Rhein-Main, der den Projektablauf filmisch begleitete.

Film. Rita Thies, u.a. Kultur- u. Schuldezernentin a.D., die zusammen mit Goehlnich das Filmprojekt entwickelt und durchgeführt hatte, stellte den Film „Almanya – Willkommen in Deutschland“ vor. Der 2011 auf der Berlinale erstmals aufgeführte Film zeigt die Übersiedlung einer anatolischen Familie in den sechziger Jahren mit den vielen daraus resultierenden Träumen, alltäglichen Überraschungsmomenten und Klischees auf erfrischend komödiante Weise. Der Film greift nicht die typischen Konfliktthemen wie zum Beispiel „Ehre“ oder „Frauenrechte“ auf, sondern fokussiert vielmehr den Wunsch des Vaters Hüseyin, mit seiner Familie in Deutschland zu leben, den Umgang mit der Schwangerschaft der unverheirateten Cousine und der Rede des kleinen Enkels vor Kanzlerin Merkel, die er anlässlich der Ehrung Hüseyins als 1.000.001 Einwanderer anstelle des plötzlich verstorbenen Großvaters hält. Der Film ist deswegen so sehr normal aber nicht unbedarft oder schönfärberisch.

Wie gut das Hörverständnis der SuS zwischenzeitlich ist, konnte man gut an ihren Reaktionen zu ein­zelnen Filmszenen mit Situationskomik, subtilem kultur- und generationsübergreifenden Familien­konflikten oder Sprachwitz erkennen.

Filmgespräch. Im anschließenden Interview verriet Schauspieler Aykut Kayacık den SuS viel über seine ersten Eindrücke seit der Auswanderung aus der Türkei: „Ich kam 1969 nach Deutschland, war gerade erst sieben Jahre alt und dachte Deutsche haben Babylöwen, weil ich die Hunderasse Chow- Chow nicht kannte.“ Als Kind besuchte Kayacık einen katholischen Hort und betete dort auch katholisch. „Das deutsche Umfeld war meinen Eltern wichtig, aber zuhause gab es bei uns ein Sprechverbot auf Deutsch, damit wir beide Sprachen sprechen lernen.“

Seit 48 Jahren in Deutschland definiert er sich als „Berlin-Türke mit deutschem Einfluss“, der nicht in seinem Geburtsland lebt, weil er „in der Türkei ein Deutschländer, in Deutschland ein Ausländer, in meiner Heimat (aber) ein Berliner“ ist. Im Vergleich beider Länder sagte er: „An Deutschland schätze ich die Freiheit und die Demokratie. An der Türkei das Meer und meine Familie.“

Rassismus hat der Schauspieler in offener und verkappter Form erlebt. Besonders kritisiert er, wenn „90% der türkischen Schauspieler als Gemüsehändler oder Kopftuchträgerinnen auftreten oder ka­rierte Hemden tragen müssen.“

Kayacık, dessen Lieblingsszene im Film die des „Scheiß Bruder“ ist, betreibt übrigens mit seiner Tochter gemeinsam auch ein Panemmobil. Der Film habe ihn auch verändert:  „Mein Vater ist früh gestorben und hieß auch Vedat, wie der Vater im Film. Verändert hat der Film in mir, dass ich oft an die Vergangenheit denke und mich öfters mit der Familie treffen möchte.“ Kayacık ging ohne besondere Erwartungen an den Erfolg dieses Films heran und war eigentlich nur froh, als die achtwöchigen Filmarbeiten zu Ende waren. „Der Film spricht ja das Fremdsein, das Nichtverstehen von Kulturen an. Und dass der Film gut geworden war, das war Erfolg.“

Die anwesenden Schülerinnen und Schüler der InteA Klassen konnten authentisch die Erlebnisse Kayacıks bei seiner Integration erfahren und dadurch sicherlich ein Stück weit einschätzen, wie sehr sie selbst Integrationserfolg mit diesem Filmprojekt erzielt haben.

Urkundenverleihung. Für die regelmäßige Teilnahme erhielten 22 SuS der SDS und zwei SuS der FLS von Peter Bingel die Teilnahmezertifikate plus zwei Kinokarten mit den Worten: „Ich hoffe, dass man sich noch lange und oft in Wiesbaden sieht und dass sie bald eine Berufsausbildung beginnen werden.“

Als Dankeschön für ihr Engagement im Filmprojekt erhielten die Kollegin Ralica Nikolava und die Kollegen Gregor Bauer und Thomas Ulrich ebenfalls zwei Kinokarten.

 

 

Stimmen der SuS. Mirahmadi Razig sagte: „Das Projekt Lernort Kino fand ich wunderbar und möchte mich sehr dafür bedanken. Ich habe viel über die deutsche Kultur gelernt, meine deutsche Sprache verbessert und es hat viel Spaß gemacht. Im Film hat mich beeindruckt, dass „die schwangere Türkin Angst hatte, ihrer Familie von der Schwangerschaft zu erzählen, aber der Großvater es von sich aus gemerkt hat, dass sie schwanger war.“ Rahimi Asadullah gefiel am Film besonders, dass ein kleiner Junge wissen möchte, wie sein Opa früher gelebt hat.“ Haidari Miladfaisal freute sich darüber, dass er „jedes Mal viele deutsche Wörter gelernt und nette Menschen kennengelernt hat. Es wäre schön, wenn es so etwas auch in Zukunft für andere gibt, damit sie besser Deutsch lernen.“ Nazira Kohestani hob aus dem Projekt zwei Filme hervor, die sie besonders gut fand: „ Einen französischen Film, in dem ein Mädchen ihrer Familie hilft, weil die Familie nicht die Sprache des Landes spricht, in dem sie leben und ein Film, bei dem Mädchen gegen Jungen spielen und ein Mädchen so stark ist, dass sie gegen die Männer gewinnt.“

Integrationsförderung mit Hilfe von Filmbesprechungen ist eine großartige Idee. Der beeindruckende Erfolg gibt den Initiatoren Recht. Die SuS haben eine gute Chance genutzt. Dafür gilt allen Beteiligten ein herzliches Dankeschön.

Link zum Angebot von Mediathek Hessen mit der Vorstellung von weiteren Projekten …

(Petra Hilbert)

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