Interaktive Ausstellung der Klasse 11 BaK
Das ist schon ein Kreuz mit dem Kreuz in Bayerischen Amtsstuben als politischer Ausdruck kultureller Verortung im südlichen Freistaat unserer Republik. Oder die zehn Thesen von Bundesinnenminister a.D. Lothar de Maizière zur sogenannten „Deutschen Leitkultur“, die über die Verfassung und Gesetze hinaus ungeschriebene Regeln und Bräuche postulieren. Sie umfassen unter anderem Respekt und Toleranz, Minderheitenschutz und Stolz auf Leistung, Ächtung von Gewalt und Akzeptanz unterschiedlicher Religionen. Das klingt super. Genau wie der Appell einer SOR-SMC Initiative, die für mehr Offenheit und gegen Ausgrenzung von Menschen eintritt, wenn da nicht auch die Sätze stünden: „Wir zeigen unser Gesicht. Wir sind nicht Burka.“
Die Thesen, die sich anfangs recht unverfänglich lesen, entpuppen sich jedoch schnell als Instrument der Ausgrenzung:
Hier die edlen, kulturaffinen, strebsamen Bürger Deutschlands, dort die Muslime, die qua Vermummung oder Billigung derselben allesamt die sogenannte Leitkultur und damit ihre Integration ablehnen. Einfach nicht Deutsch genug. So schnell geht Diskriminierung.
Das Problem formulierte Johannes Fey, Politiklehrer der 11BaK, mit den Worten „Einerseits leben Familien mit Migrationshintergrund schon seit mehreren Generationen in Deutschland, andererseits fühlen sich viele von diesen Menschen immer noch nicht als Teil der deutschen Gesellschaft und werden auch nicht als Teil dieser Gesellschaft angesehen.“ Das war für ihn der Trigger zum Entwurf der Unterrichtsreihe „Mammutaufgabe Integration – Macht die „deutsche Leitkultur“ eine erfolgreiche Integration unmöglich?“ 19 Schülerinnen und Schüler (SuS) der 11BaK haben sich in diesem Rahmen mit der Eingliederungsproblematik Zugewanderter befasst, die im gesellschaftlichen Diskurs kontrovers verläuft und zunehmend auch populistisch und rassistisch geführt wird. Dieses Thema ist auch am Lernort Schule, in den Schulklassen evident. Die Unterrichtsreihe verfolgte das Ziel, Integrationsprozesse und -hemmnisse zu analysieren, Akteure und ihre Rollen zu beurteilen und in diesem Kontext maßgebliche Einflussgrößen wie zum Beispiel Bräuche, Religion, Bildung, Kunst, soziale Interaktion aber auch Vorurteile zu bewerten und einzuordnen. Daraus sollte schließlich ein Verständnis von „Kultur“ hergeleitet werden, das Veränderungen und Entwicklung als notwendig erachtet und nicht einer starren monopolistischen Deutungshoheit durch Rechtsgruppen unterworfen werden darf. Kurz: Nur eine dynamische Kultur ist flexibel genug, adäquate Lösungen für die Integration zu finden.
Den Abschluss der mehrwöchigen Unterrichtsreihe markierte am 27.09.2018 eine interaktive Ausstellung, zu der die Klasse 11 BaK SuS der gesamten SDS eingeladen hatte.
Über 160 SuS konnten sich an acht Ständen über Themen rund um Kultur und Integration mit ihren soziologischen und rechtlichen Facetten informieren und diskutieren:
Vorgestellt wurden die öffentlichen Fördermaßnahmen von Bund, Land Hessen und der Stadt Wiesbaden. Mit zum Beispiel Sprachkursen, Eingliederungshilfen in den Arbeitsmarkt, Erwachsenenbildung und Kinderbetreuung, Zugang zu Sportvereinen, speziellen Integrationsangeboten für Frauen oder Betreiben von Begegnungscafés sowie mit der Einrichtung von Integrations- und Ausländerbeiräten und spezifischen Servicestellen stellen sie ein breit gefächertes Angebot für Zugewanderte bereit.
Besonders gute Sprachkenntnisse wurden von den meisten Besuchern als Schlüssel für die Integration benannt, so zum Beispiel Niklas Hasenstab (10VSc) und Kadir Yilmaz(10VSc), der zudem Gesetzeskenntnisse für wichtig ansah.
Am Stand „Was sagen die Parteien“ äußerte die SPD, dass Kultur über Landesgrenzen und Staatsangehörigkeiten hinaus ginge und präferiert ein an den Grundwerten und Normen der Verfassung orientiertes inklusives Leitbild, während die CDU im Wesentlichen die de Maizière‘schen Thesen zur Leitkultur verschlagwortete.
Im Film konnte der Rap „Aber“ von Eko Fresh betrachtet und gehört werden: Der „Deutsche“ startet mit den Worten „Ich bin kein Nazi, aber…“ und zählt dann die gängigen Vorurteile gegen Migranten auf. Der „Ausländer“ beginnt mit „Ich liebe Deutschland, aber…“ und fährt mit seinen Verletztheiten und Vorurteilen fort. „Eko’s“ Appell reflektiert das Spannungsfeld aus unterschiedlicher Herkunft der beiden und endet – ein wenig ratlos – im Nirgendwo mit den Worten „Aber – ihr macht das schon“.
„Bestätigung, Wut und Zorn, aber auch Hoffnung“, so empfand Soner Ilhan (10VSc)den Rap. Auch Kadir Yilmaz (10VSc) fand sich wieder: „Es macht viele Gedanken deutlich, die man als Deutscher mit Migrationshintergrund hat.“
An der Station „Deutschland – rein/raus“ konnten die Gäste bekannte Personen, Bräuche, Gerichte oder Bauwerke kategorisieren und ihre Entscheidungen mit der Standbesatzung begründen und diskutieren.
Am Stand „Was ist eigentlich Kultur?“ haben die SuS der 11BaK das Spektrum erarbeitet, das mit dem Begriff „Deutsche Kultur“ assoziiert werden kann: Eigenschaften wie pünktlich, fleißig, ordentlich, humorlos, Bräuche wie Volksfeste oder Weihnachten, Ess- und Trinkgewohnheiten, Baudenkmäler, berühmte Künstler und Forscher, um nur einige zu nennen. Ist das „Deutsch genug?“, war die ultimative Frage auf der Plakatwand. Und das Fazit lautete: „Kultur befindet sich stetig im Wandel, verändert sich und entwickelt sich weiter.“
Genauso sah das Laura Zelic (10VSc), die einem monistischen Kulturbegriff eine Absage erteilte und appellierte: „Alle müssen sich anpassen, um erfolgreich zu sein“ oder Nebila Masaad (10VSc), die meinte, dass „sich Kulturen weltweit dynamisch verändern und niemals gleich (bleiben)“.
In der Semantik von Kultur verstecken sich auch viele Klischees und Vorurteile, die gerne in „Stammtischparolen-Battles“ kundgetan und ausgefochten werden. Sprüche, wie „Wer sich der Deutschen Kultur nicht anpasst, soll gehen“ oder „In der Fußgängerzone sieht man keine Deutschen mehr“ aber auch „Wir sind alle Ausländer – fast überall“ wurden von der Klasse sehr differenziert, teils humoristisch, teils empathisch kommentiert und halfen dadurch, solche Parolen gut einzuordnen.
„Wenig überraschend“ befand Dominic Mallmann (10VSc), der besonders die Gefahr sah, dass „die Integration von diversen Stammtischparolen behindert“ würde.
Interessant waren dagegen die Ergebnisse eines Interviews in der Wiesbadener Fußgängerzone zu Burkaverbot, Flüchtlingspolitik oder Obergrenzen für Zuwanderer. Unter der Rubrik „Was sagen die Leute?“ entstand ein überraschend ausgewogenes und differenziertes Bild zu den Fragen bis hin, dass sich alle (!) Befragten in Deutschland, ob In- oder Ausländer, wohlfühlen.
Das Ergebnis spiegele „insgesamt das Bild der Gesellschaft und ihrer Gemütslage wider“, so Soner Ilhan (10VSc). Als „zum größten Teil rassistisch und unüberlegt “ stufte hingegen Maria Utz (10VSc) die Aussagen der Interviewpartner ein.
Abschließend konnten die Gäste an der Station „Zum Mitmachen“ Vorschläge und Statements zu den Themenkomplexen „Das brauchen wir für eine gute Integration“ und „Was wünsche ich mir für ein zukünftiges Zusammenleben in Deutschland?“ äußern.
Das Format der Unterrichtsstunde als „interaktive Ausstellung“ war beeindruckend und die Performance herausragend. Ergänzt und abgerundet wurde das durch die differenzierten und konstruktiven Beiträge der Gäste. Ihr Fazit zur These, dass die „Deutsche Leitkultur“ Integrationserfolge behindere, war sehr heterogen:
Während Yarisleidis Parra Rivas (10VSc) empfindet, dass „viele Mitmenschen es einem Ausländer nicht immer leicht machen, in der BRD zu leben“, sieht Maria Utz (10VSc) das Risiko, dass „die AfD als Minderheit die Deutsche Leitkultur am auffälligsten propagiert und viel Aufmerksamkeit“ dafür erfährt. Während Isabell Jokisch (10VSc) trotz Leitkultur an ein Miteinander verschiedener Religionen glaubt, sieht Niclas Hasenstab (10VSc) nicht die Kultur als Hemmschuh für Integration, sondern „Menschen, die mit ihrem Rassismus alles kaputt (machen)“.
Die gesamte Unterrichtsreihe und ihre abschließende Ausstellung hat bei Vielen das Bewusstsein gestärkt, das Verhalten anderer als Ergebnis individueller und persönlicher Erfahrungen zu begreifen und die Wahrnehmung darüber gestärkt, wie und von wem die Integrationsdebatte als Mittel zur Verbreitung von rechtsgerichtetem und rassistischem Gedankengut missbraucht wird.
Pädagogisch war diese Unterrichtsreihe ebenso ein großer Erfolg: Durch den Einsatz verschiedener didaktischer Methoden, wie zum Beispiel Gruppenarbeit, Einzelarbeit, Diskussion oder Präsentation konnten die SuS der 11BaK Erfahrungen in vielen Kompetenzfeldern sammeln, insbesondere analytisch, handlungsorientiert, methodisch, aber auch sprachlich und sozial.
Den SuS der 11BaK gratulieren wir sehr herzlich für die herausragenden und kritischen Arbeitsergebnisse. Johannes Fey danken wir sehr für seine brillante Idee und perfekte Umsetzung dieser „Mammutaufgabe“, die im besten Sinn einem SOR-SMC Projekt gleichkommt: Das ist (hoffentlich) Deutsch genug!
(Petra Hilbert)
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